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Virtuelle Arbeitsmittel als Weiterführung konkreter Erfahrungen – Zur didaktischen Bedeutung computergestützter Handlungen

Christian Urff 2025 (aktualisierter Text zu einer Version von 2011)

Einleitung

Mathematische Arbeitsmittel sind zentrale Lehr- und Lernwerkzeuge, mit denen sich handelnd grundlegende mathematische Zusammenhänge erforschen lassen (Krauthausen, 2012, 2022). Im Gegensatz zu gegenständlichen Arbeitsmitteln, die Lernende mit den eigenen Händen manipulieren können (z.B. Objekte verschieben, umlegen, umdrehen), sind die „realen“ Handlungsmöglichkeiten bei virtuellen Arbeitsmitteln auf digitale Interaktionen beschränkt. Bei klassischen Desktop-Computern und Notebooks erfolgen Interaktionen primär über Mausklicks oder Tastatureingaben, während Touchscreens in Tablets durch Multi-Touch-Gesten direkte haptische Rückmeldungen ermöglichen (Agostinho et al., 2015). Über AR-Brillen ist neuerdings auch die Eingabe mit natürlichen Handgesten (Finger aufeinaderlegen, drehen usw.) möglich.

Die eigentlichen Handlungen werden bei virtuellen Arbeitsmitteln vom Computer ausgeführt und visuell gerendert – der Benutzer gibt lediglich den gezielten Impuls zur Handlungsausführung. Deutlich wird dies am Beispiel eines virtuellen Zwanzigerfeldes: Wendeplättchen lassen sich dort virtuell umdrehen, allerdings nicht durch tatsächliches physisches Umdrehen, sondern per Klick oder Touch-Geste wird die Wendeoperation durch die Software ausgeführt und eine Animation der Wendeoperation angezeigt. Solche vom Computer ausgeführten, aber vom Benutzer initiierten Operationshandlungen werden als computergestützte Handlungen bezeichnet (Urff, 2010). Computergestützte Handlungen zeichnen sich dadurch aus, dass Handlungsinitiierung durch den Benutzer, ein wesentlicher Teil der Ausführung allerdings unterstützt durch den Computer erfolgt.

Verhältnis von virtuellen zu gegenständlichen Arbeitsmitteln

Einschränkungen und Voraussetzungen

Zunächst ließe sich argumentieren, dass die konkret erfahrbaren Handlungsmöglichkeiten und damit auch die Handlungserfahrungen bei virtuellen Handlungen stark eingeschränkt sind. Werden lediglich die taktil-haptischen Erfahrungsmöglichkeiten dabei betrachtet, ist dies sicher zutreffend (Moyer-Packenham & Bolyard, 2016). Das Kind kann ein virtuelles Wendeplättchen nicht physisch erfühlen, und die Handlung des Umdrehens ist nicht unmittelbar mit einer motorischen Bewegung am Plättchen selbst gekoppelt.

Diese Einschränkung ist einer der entscheidenden Gründe, warum virtuelle Arbeitsmittel als Fortführung und Erweiterung der Arbeit mit gegenständlichen Arbeitsmitteln eingesetzt werden sollten und nicht als Ersatz (Krauthausen, 2022; Bouck et al., 2020a). Dies gilt besonders für die Primarstufe und den vorschulischen Lernbereich, denn in dieser Entwicklungsphase spielen Primärerfahrungen eine zentrale Rolle für den Aufbau von Verständnis. Ein Kind wird die virtualisierte Wendeoperation am Computer vermutlich nur dann richtig interpretieren können, wenn es bereits selbst ein Wendeplättchen umgedreht hat oder zumindest diese Handlung am gegenständlichen Arbeitsmittel beobachtet hat.

Aktuelle Forschung zeigt, dass die Kombination von konkreten und virtuellen Arbeitsmitteln (sogenannte „Blended Manipulatives“) besonders effektiv sein kann und zu verbesserten Lernergebnissen führt (Ahmad et al., 2024; Yakubova et al., 2024). Die Reihenfolge und Vernetzung – erst konkret, dann virtuell – bleibt dabei didaktisch bedeutsam. Doch warum sollte überhaupt ergänzend zu konkreten Arbeitsmitteln auch noch virtuelle Explorationsmöglichkeiten angeboten werden?

Didaktische Potenziale computergestützter Handlungen

Werden die visuell-auditiven und interaktiven Erfahrungsmöglichkeiten virtueller Handlungen genauer in den Blick genommen, bieten computergestützte Handlungen als Fortführung realer Handlungen durch die technologischen Möglichkeiten neue didaktische Potenziale:

1. Kognitive Entlastung und Verlagerung durch automatisierte Handlungsausführung

Durch die Übernahme der Handlungsausführung durch den Computer bleiben mehr kognitive Ressourcen für das eigentliche mathematische Lernen verfügbar (Sweller, 2020; Paas & van Merriënboer, 2020). Die Entkopplung von Handlungsimpuls und -ausführung kann die nicht lernrelevante motorische und kognitive Belastung des Kindes verringern (Skulmowski & Xu, 2022). Dies entspricht dem Prinzip der Reduktion der extraneous cognitive load aus der Cognitive Load Theory (Castro-Alonso, 2020).

Beispiel Rechenfeld: Während bei einem gegenständlichen Zwanzigerfeld Plättchen von Hand auf das Feld geschoben werden müssen und das Kind mit dieser motorischen Bewegung beschäftigt ist, erfolgt dies am Computer automatisiert. Beim virtuellen Zwanzigerfeld wird durch einen Klick oder Touch automatisch eine Einfügebewegung eines oder mehrerer Plättchen animiert. Das Kind muss sich nicht um die korrekte Ausführung der Plättchenbewegung kümmern – was für die mathematische Konzeptbildung irrelevant ist –, sondern kann die Einfügeoperation und ihre Auswirkungen beobachten und die Aufmerksamkeit auf die Veränderung auf der symbolischen Ebene richten (die Summe vergrößert sich) und dadurch experimentierend besser die Zusammenhänge gedanklich nachvollziehen. Gut gestaltete virtuelle Manipulative können durch solche Teilautomatisierungen tatsächlich die kognitive Belastung reduzieren und gleichzeitig das Lernen unterstützen, insbesondere da das Experimentieren mit verschiedenen Handlungsoptionen im Sinne von „Was passiert mit …, wenn …?“ deutlich erleichtert wird.

2. Konzeptuelle Kontrolle der Handlungsausführung

Während bei Handlungen an gegenständlichen Arbeitsmitteln neben mathematisch sinnvollen Handlungen (z.B. Ablegen eines Plättchens) auch Handlungen möglich sind, die keine mathematisch-konzeptionelle Entsprechung haben (z.B. Übereinanderlegen von Plättchen, Fehlplatzierungen, nicht zueinander passende Repräsentationen), können computergestützte Handlungen auf konzeptuell stimmige mathematische Handlungen begrenzt werden (Moyer et al., 2002; Bouck & Park, 2018).

Dadurch werden nur diejenigen Operationshandlungen angeboten, die für den Lernenden zur Erarbeitung und Entdeckung der didaktisch bedeutsamen Struktureigenschaften wichtig sind. Alle anderen, bei analogen Arbeitsmitteln aufgrund der physikalischen Eigenschaften trotzdem möglichen Handlungen werden begrenzt. Beispielsweise wird beim virtuellen Zwanzigerfeld gewährleistet, dass:

  • nie mehr als 20 Plättchen auf das Feld gelegt werden können,
  • rote Plättchen immer zusammenhängend strukturiert und damit besser erfassbar abgelegt werden (wenn die automatische Strukturierung eingeschaltet ist),
  • die 5er- und 10er-Strukturierung automatisch berücksichtigt wird und
  • die ikonische und symbolische Darstellung immer zueinander passen.

Diese konzeptuelle Strukturierung (conceptual scaffolding) durch digitale Werkzeuge unterstützt das Lernen besonders bei Kindern mit Lernschwierigkeiten (Park et al., 2022; Yakubova et al., 2024). Gerade wenn noch kein tiefgreifendes Verständnis vorliegt, können fehlerhafte Handlungen zu fundamentalen Missverständnissen führen. Wenn beispielsweise aufgrund eines Legefehlers am konkreten Zwanzigerfeld die ikonische und symbolische Darstellung nicht zueinander passen (z.B. 14 Plättchen liegen auf dem Feld, aber die Zahl 15 steht daneben), versuchen Kinder oft, diese Diskrepanz nachträglich zu rationalisieren und konstruieren dabei fehlerhafte mentale Modelle. Virtuelle Arbeitsmittel vermeiden solche Fehler, indem sie nur konzeptuell korrekte Operationen zulassen und automatisch die Konsistenz zwischen allen Repräsentationsebenen gewährleisten.

3. Synchronisierte Darstellung über multiple Repräsentationsebenen

Durch die computergestützte Ausführung der Handlung ist es möglich, Handlungen über mehrere Repräsentationsebenen zu synchronisieren (Krauthausen, 2012, 2022). Dies ermöglicht die dynamische Vernetzung verschiedener Darstellungsformen als ein zentrales Element für tiefes mathematisches Verständnis (Moyer-Packenham & Bolyard, 2016).

Beispiel: Wird ein Summand auf dem Rechenfeld um eins vermindert, dann:

  • reduziert sich die entsprechende Zahlziffer (symbolische Ebene),
  • reduziert sich die Summe um eins,
  • wird gleichzeitig auf der ikonischen Ebene ein Plättchen vom Zwanzigerfeld entfernt und es
  • reduziert sich die sichtbare Gesamtmenge um ein Element.

Durch diese gestützte Ausführung und dynamische Visualisierung wird die Handlungserfahrung über mehrere Darstellungsebenen hinweg gekoppelt. Dies ermöglicht Lernchancen, die für die Entwicklung eines vertieften Verständnisses grundlegender mathematischer Operationen bedeutsam sein können. Besonders gilt dies für Kinder, die die Übertragung noch nicht vollständig oder fehlerhaft vornehmen. Sie können durch die Handlungen ihr mentales Modell validieren, verändern und korrigieren. Allerdings muss diese vernetzte synchrone Darstellung im Umfang und der Ausgestaltung der visuellen Elemente gut ausbalanciert sein, denn durch die Vernetzung über mehrere Darstellungsebenen hinweg können auch zusätzliche kognitive Belastungen entstehen. Weniger ist hier oft mehr: Eine Reduktion auf jeweils wenige miteinander verknüpfte Darstellungen gleichzeitig wird empfohlen.

4. Realisierung didaktisch wertvoller Handlungen, die gegenständlich nicht möglich sind

Besonders interessant ist die Visualisierung von Handlungsprozessen, die mathematikdidaktische Kernkonzepte veranschaulichen, aber mit gegenständlichen Arbeitsmitteln gar nicht oder nur mit hohem Aufwand realisierbar sind.

Beispiel „Kraft der Fünf“: Während es am gegenständlichen Zwanzigerfeld nicht ohne weiteres gelingt, Mengen in Fünferportionen simultan auf das Feld zu legen, ist dies virtuell gut möglich (Krauthausen, 1995, 2012). Beim virtuellen Zwanzigerfeld können Fünfer- und Einerportionen eingefügt werden. Dadurch kann das Kind anschaulich erfahren, dass es effektiver ist (und weniger Klicks benötigt), sechs Wendeplättchen aus einem Fünfer und einem Einzelplättchen zusammenzulegen, anstatt sechsmal einzelne Plättchen einzufügen.

Beispiel Hunderterfeld und Stellenwertsystem: Hier können Mengen in Zehner- und Einerportionen eingefügt werden, sodass die Stellenwertschreibweise anschaulich über die Darstellungsebenen hinweg erfahrbar wird. Manche Apps können sogar den Bündelungs- und Entbündelungsprozess dynamisch visualisieren, indem beispielsweise zehn Einer automatisch zu einem Zehner zusammengefasst werden.

5. Adaptive Unterstützung und differenzierte Lernwege

Virtuelle Arbeitsmittel können zusätzlich zur reinen Experimentierumgebung noch Unterstützungs- und Differenzierungsangebote beinhalten, wie beispielsweise:

  • Substantielle Aufgabenstellungen: Gemeint sind damit Aufgaben, die zum eigenständigen Erkunden und Erforschen der Zusammenhänge anregen. Diese Aufgabenstellungen (Forscherfragen) können entweder innerhalb der App angeboten werden, oder auch außerhalb.
  • Hinweise und Feedback: Es können während des Erkundungsprozesse unmittelbare Rückmeldungen zu durchgeführten Handlungen angeboten werden – entweder auf Anforderung oder auch proaktiv durch das digitale Lernsystem. Dies kann visuell oder textuell-sprachlich geschehen, beispielsweise durch visuelle Hinweise (z.B. Aufblinkende Plättchenmenge, Hinzufügen von visuellen Strukturierungsmerkmalen am Material) oder eine anregende Frage („Probier doch mal …“, „Überlege …“) zum passenden Zeitpunkt im Lernprozess.
  • Schrittweise Enthüllung: Komplexe Operationen können in einzelne Schritte zerlegt dargestellt werden. Auch ist es möglich, komplexe Darstellungsformen in miteinander vernetzte Teildarstellungen zu zerlegen.
  • Anpassbare Schwierigkeitsgrade: Verschiedene Darstellungsoptionen können je nach Lernstand selbst angepasst werden oder auch in einem adaptiven Lernsystem sich an den Lernstand und Lernverlauf des Kindes automatisch anpassen.
  • Dokumentation von Lernwegen durch die Aufzeichnung und Wiedergabe von. Die flüchtige Darstellung der Experimentierhandlungen kann in eine nichtflüchtige Sammlung wichtiger Dokumentationseinheiten (statisch – Bild oder Text) oder Handlungssequenzen (dynamisch – Video oder Beschreibung) umgewandelt werden. Durch permanent zur Verfügung stehende Werkzeuge wie Bildschirmaufnahme, Screenshots, Tonaufnahmen ist dies auch möglich, wenn das Arbeitsmittel dies nicht selbst anbietet (wie beispielsweise in der App „Rechenfeld“). Durch die Sammlung von Dokumentationseinheiten sind nachgelagerte Lernprozesse wie beispielsweise die Strukturierung der Sammlung, die Darstellung der Ergebnisse, Strategieerkundungen und auch Diagnosemöglichkeiten für die Lehrkraft möglich (Wollring, 2008).

Durch diese Möglichkeiten können virtuelle Arbeitsmittel sehr personalisiert an die Lernbedürfnisse der Lernenden angepasst werden.

Aktuelle Entwicklungen und Technologien

Touch-Technologie und Embodied Learning

Geräte mit Multi-Touch-Funktion ermöglichen direktere haptische Interaktionen als klassische Maussteuerung. Fingertracing und Wischgesten können als biologically primary knowledge genutzt werden und somit die kognitive Belastung reduzieren (Agostinho et al., 2015; Ginns et al., 2020). Beispielsweise kann die Skalierung auf einem virtuellen Zahlenstrahl durch eine intuitive Geste des Wischens oder des Zoom-In/Out mit zwei Fingern schnell und dynamisch verändern. Solche Handlungsmöglichkeiten sind mit analogen Medien nicht umsetzbar.

Künstliche Intelligenz und adaptive Systeme

Moderne virtuelle Arbeitsmittel können durch KI-basierte Systeme adaptive Lernpfade ermöglichen, die sich automatisch an den Lernstand und die Bedürfnisse einzelner Schüler*innen anpassen (Haryana et al., 2022). Solche Systeme können die kognitive Belastung dynamisch regulieren und optimale Lernbedingungen schaffen. Die Forschung steht hier allerdings noch am Anfang. Es gibt noch viele offene Fragestellungen insbesondere dazu, wie generative KI sinnvoll integriert werden sollte, um das Lernen zu unterstützten und nicht zu ersetzen bzw. zu verhindern.

Augmented und Virtual Reality

AR- und VR-Technologien eröffnen neue Möglichkeiten für räumlich-geometrische Lerninhalte, indem sie dreidimensionale Manipulationen virtueller Objekte ermöglichen (Altmeyer et al., 2024). Besonders für das räumliche Vorstellungsvermögen bieten solche Technologien vielversprechende Potenziale. Auch embodied learning-Ansätze, bei denen körperliche Bewegungen das mathematische Verständnis fördern, beispielsweise durch die Vermischung realer Erfahrungen mit virtuellen Erfahrungen, sind durch AR und VR-Technologien möglich.

Beispiel AR Zahlenstrahl: In der App AR Zahlenstrahl können Kinder Handlungen an einem virtuellen Zahlenstrahl vornehmen. Dieser Zahlenstrahl kann direkt auf eine Bezugsfläche des Umfeldes projeziert werden und potentiell unendlich fortgeführt werden. Dadurch kann der Bezug zwischen Mächtigkeit der Mengen, Verortung auf dem Zahlenstrahl und Längenverhältnissen in der realen Umgebung (z.B.Schulflur, Schulhof) miteinander in Bezug gesetzt werden.

Kritische Reflexion und Grenzen

Trotz der beschriebenen Potenziale bleibt ein kritischer Blick auf virtuelle Arbeitsmittel notwendig, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung und Einbettung in substantielle Lernumgebungen.

Nicht alle virtuellen Manipulative sind gleich wirksam

Forschungsergebnisse zur Effektivität virtueller Arbeitsmittel sind nicht einheitlich. Eine aktuelle Studie zeigt beispielsweise, dass konkrete Manipulative in bestimmten Bereichen (wie Bruchrechnung) zu besseren Lernergebnissen führen können als virtuelle (Al Mutawah et al., 2024). Dies ist jedoch nicht Übertragbar auf alle Arbeitsmittel. Ähnlich wie es Kriterien für die Auswahl und den Einsatz von gegenständlichen Veranschaulichungsmitteln gibt, sollte der Einsatz weniger an der Technologie, sondern an fachdidaktischen Kriterien ausgereichtet werden. Die Gestaltungsqualität des virtuellen Arbeitsmittels ist entscheidend (Moyer-Packenham & Bolyard, 2016), sowie die Einbettung in entsprechend gestaltete Lernumgebungen und Fragestellungen.

Gefahr der kognitiven Überlastung

Paradoxerweise können schlecht gestaltete digitale Lernumgebungen auch zu erhöhter kognitiver Belastung führen – etwa durch unnötige Animationen, ablenkende Elemente oder zu komplexe Bedienoberflächen (Skulmowski & Xu, 2022). Die Reduktion von extraneous cognitive load erfordert sorgfältiges instructional design.

Bedeutung der Lehrkraft

Virtuelle Arbeitsmittel ersetzen nicht die professionelle fachdidaktische Begleitung durch die Lehrkraft. Ganz im Gegenteil: Virtuelle Arbeitsmittel entfalten ihr Potential nur, wenn ihre Nutzung durch entsprechende Aufgabenstellungen, Vor- und Nachbereitung, Austauschsituationen gerahmt sind. Untersuchungen zeigen, dass die Art und Weise, wie Lehrkräfte virtuelle Manipulative einsetzen, entscheidend für den Lernerfolg ist (Larkin, 2016). Die mathematikdidaktische Kompetenz der Lehrkraft bleibt zentral.

Fazit und Ausblick

Über virtuelle Handlungen lassen sich bei entsprechender Gestaltung Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten für das mathematische Lernen realisieren, die einen echten didaktischen Mehrwert gegenüber Handlungen an nicht-virtuellen Arbeitsmitteln bieten können (Krauthausen, 2022; Bouck et al., 2020b). Sie sind als sinnvolle Ergänzung und Weiterführung von realen Handlungen anzusehen – nicht als Ersatz. Sie benötigen als Basis für die Interpretation und sinnvolle Anwendung häufig analoge Primärerfahrungen mit gegenständlichen Arbeitsmaterialien. Zentrale Bedingungen für den gewinnbringenden Einsatz virtueller Arbeitsmittel und virtueller Handlungen sind:

  1. Fachdidaktische Fundierung: Orientierung an bewährten mathematikdidaktischen Konzepten und Prinzipien
  2. Gestaltungsqualität: Sorgfältige Gestaltung der virtuellen Arbeitsmittel nach Erkenntnissen des Lernens mit Multimedia und fachdidaktischen Prinzipien (Urff, 2014)
  3. Integration von analog und digital: Virtuelle Handlungen bauen auf Erfahrungen mit gegenständlichen Arbeitsmitteln auf.
  4. Lehrkraftprofessionalisierung: Lehrkräfte benötigen Kompetenzen für den reflektierten Einsatz digitaler Medien
  5. Differenzierung: Nutzung der technologischen Möglichkeiten für adaptive Lernwege

Bei der Gestaltung virtueller Arbeitsmittel und Handlungsangebote sind aus fachdidaktischer Sicht folgende Gestaltungsprinzipien handlungsleitend (vgl. Urff, 2012):

  • Gestalte virtuellen Arbeitsmittel so, dass der Nutzer bei der Ausführung von Handlungen entlastet wird von nicht für die mathematische Konzeptbildung relevanten Aktivitäten. Dadurch werden möglichst viele kognitive Ressourcen für das mathematische Erkunden verfügbar.
  • Versuche über virtuelle Handlungsangebote und Visualisierungen möglichst gut die zu fördernde mathematischen (Denk-)Operationen abzubilden.
  • Gestalte virtuelle Arbeitsmittel so, dass der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Repräsentationen für die Kinder nachvollziehbar wird.
  • Ermögliche Handlungen, die mit konkreten Arbeitsmitteln nicht oder nur sehr schwer realisierbar sind.

Die Digitalität und dadurch fortschreitende Digitalisierung im Bildungsbereich bietet Chancen, sollte aber nicht zu unkritischer Technologieeuphorie führen. Es geht nicht darum, traditionelle Arbeitsmittel zu ersetzen, sondern das didaktische Repertoire klug zu erweitern (Krauthausen, 2022). Zukünftige Forschung sollte weiterhin untersuchen, unter welchen Bedingungen welche Kombinationen von konkreten und virtuellen Arbeitsmitteln für welche Lernziele und Zielgruppen optimal sind.


Literatur

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